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Alexander Lernet-Holenia

Mars im Widder (1941)

Roman

Mars im Widder - Zsolnay 1997

Günther Fischer schreibt in Der Spiegel
11.11.1997


Visionen des Untergangs

Die Wiederauflage einer von den Nazis verbotenen gepenstischen Parabel des Polenfeldzugs erinnert an den österreichischen Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia, der Zeit seines Lebens selbstbewußt rückwärtsgewandt und lustvoll renitent blieb.

Verschobene Realitäten, Geschichten hinter den Geschichten und Träume waren die Leitthemen des 1976 verstorbenen österreichischen Schriftstellers Alexander Lernet-Holenia. Der zu seinem 100. Geburtstag wiederveröffentlichte Roman "Mars im Widder" gehört mit "Der Mann im Hut" (1937), "Ein Traum in Rot" (1939) und "Die Inseln unter dem Winde" (1952) zu seinen Hauptwerken. Er folgt wie die anderen Romane phantastisch-surrealen Erzählmustern. Dennoch war die Geschichte so nahe an der Realität, daß das Buch 1941 noch vor der Auslieferung an den Buchhandel von Propagandaminister Joseph Goebbels verboten wurde.

Lernet-Holenia erzählt vom österreichischen Reserveoffizier Wallmoden, der im September 1939 die Wiener Gesellschaft verläßt, um an der "soldatischen Übung", wie der Polenfeldzug anfangs verharmlosend umschrieben wird, teilzunehmen. Die "Übung" erweist sich als rücksichtsloser Vernichtungskrieg. Willenlos läßt sich Wallmoden treiben, verfolgt wie im Traum die Ereignisse, die er selbst mitgestaltet. Visionen des Untergangs verfolgen ihn, ein gespenstisch-irrealer, nächtlicher Zug von scheinbar gefühllosen Wanderkrebsen wird zum grauenhaften Sinnbild für die deutsche Armee.

Nichts findet sich in diesem 1939/40 geschriebenen Buch vom heroischen Soldatenbild der Nazis, in den Schilderungen der Panzer- und Luftkämpfe nichts vom angeblichen Verteidigungskrieg. Der Angriffskrieg der Deutschen wird als solcher auch dargestellt. Mit einfachen Sätzen verdichtet Lernet-Holenia sein düsteres Zeitgemälde zu einer unheimlichen Vision des Untergangs der Deutschen.

Über 50 Romane schrieb er insgesamt, an Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal orientierte Theaterstücke, Lyrik- und Essaybände. Es ist ein voluminöses, meist elegant formuliertes, doch unterschiedlich gewichtiges Oeuvre, das er vorlegte. Daß sein Name kaum noch jemanden ein Begriff ist, liegt wohl an der Thematik: Der bedeutende, größere Teil seines Gesamtwerks ist die elegisch-herrische Nachfeier der untergegangenen Donaumonarchie.

Selbstbewußt rückwärtsgewandt war auch die Lebensart des oft als "letzter Österreicher" gefeierten Vielfachpreisträgers (1926 bekam er den renommierten Kleist-Preis, 1961 den Großen Österreichischen Staatspreis): Nach dem Krieg nahm er in der leerstehenden Wiener Hofburg seinen Wohnsitz, in einem Brief an den damaligen österreichischen Kulturminister nannte er Stücke von Edward Albee und Peter Handke "niederträchtig schlecht", empfahl Subventionsentzug für die Wiener Theater, die diese Stücke aufführten. Und aus Protest gegen die Nobelpreisverleihung an Heinrich Böll, den er beschuldigte, "die deutsche Literatur auf die östlichen Steppen zu verschleppen", legte er 1972 den Vorsitz des Österreichischen Pen-Clubs nieder.

So bieten Schriftsteller und sein Werk nicht allzuviele Identifikationsmöglichkeiten für heutige Leser. Seine Theaterstücke müssen am Ende des 20. Jahrhunderts neu auf ihre Bühnen- und Thementauglichkeit überprüft werden. Meisterwerke wie "Mars im Widder" haben aber nicht von ihrer Gültigkeit verloren.