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Alexander Lernet-Holenia

Günther Nenning

Auf, seien wir schlechte Österreicher!

In: "Die Presse" vom 17. 6. 1997

Ich bin ein hoffnungsloser Optimist. Alle Umfragen zeigen nach unten, die Österreicher sind verunsichert und zukunftscheu wie noch nie in der Zweiten Republik. Deren begeisterte Hochhalter sind verstummt; wo seid ihr, Freundinnen und Freunde? Na egal, ich weiß, wohin ich mich zu wenden habe. Kunst gibt Halt, wo keiner mehr ist.
Das Schöne an der Kunst ist, daß sie stets auf unkorrekten Wegen wandelt. Die österreichische U-Kunst ist unerlaubt operettig, lehárig; die österreichische E-Kunst hat eine absurde Vorliebe für die Vergangenheit, musilisch; und ein ebensolches Mißtrauen in die Zukunft, schnitzlerisch.
"Wir haben es nicht nötig, mit der Zukunft zu kokettieren und nebulose Projekte zu machen. Wir sind unsere Vergangenheit."
Dies schrieb Alexander Lernet-Holenia im Jahr 1945. Es gibt jetzt, im Jahr seines 100. Geburtstags (er starb 1976), eine zögerliche Renaissance dieses altösterreichischen Genies.
Wir müssen nach dem geheimen Scharnier suchen, mit dem die Vergangenheit umgelegt werden kann in die Zukunft. Von der Austro-Nostalgie zur Austro-Utopie.
Von Lernet ist zu lernen, daß Tradition so wichtig ist wie Innovation, und weniger schwindelhaft; Mythos so wichtig wie Ratio, und gibt dem Herzen mehr.
Lernet: "Die Liebe braucht keinen Trost. Sie braucht nicht einmal Gegenliebe. Sie braucht nur sich selbst."
Das kann Motto österreichischer Wiedergeburt sein, einer weiß Gott wievielten, weiß Gott wie scheiternden.
Es geht um Selbstbewußtsein. Reale Reiche zerfallen, oft verblüffend schnell. Geisterreiche bleiben bestehen, oft verblüffend lang. Österreich, Gespenst im EU-Schloß.
Superschlaue haben völlig recht, wenn sie urteilen: Der Lernet ist ein alter Aristo, ein Reaktionär, der nach einer Welt trauert, die vorbei ist. Aber sie messen ihn an einer Welt, die noch viel vorbei-er ist; an einer Welt nämlich, in der Fortschritt und Wohlstand als gesicherte und unverrückbare Maßstäbe galten.
"Fortschrittlich" ist das Adelsprädikat eines aufgeklärten Reiches, das es nimmer gibt; "reaktionär" ein Todesurteil, das nicht mehr vollstreckt werden kann.
Daß alle Literatur soziale und ökonomische Wurzeln hat, weiß ich als Halbmarxist sowieso. Aber Literatur lehrt: es ist nicht wahr, daß wir verloren sind. Vielmehr ist Rückschritt sogar der wahre Fortschritt, wenn vorne der Abgrund ist und rückwärts Hilfe.
Blätternd in alten Jahrgängen des FORVM (Lernet-Biograph Robert Dassanowsky, Literaturprofessor in Kalifornien und natürlich Altösterreicher, schreibt: "Lernet-Holenia edited this Vienna-based publication with Friedrich Abendroth, Günther Nenning and Friedrich Torberg" und nennt´s ein "conservative journal"; ist ja nicht wahr, siehe oben) - blätternd also im Jahrgang 1961 dieses Journals lese ich Lernet:
"Ein echter Franzose, zum Beispiel, oder auch ein echter Engländer ist auch ein guter Engländer und ein guter Franzose - ein echter Österreicher aber ist keinesfalls ein guter Österreicher - je echter er ist, für einen umso schlechteren Österreicher halten ihn die andern Österreicher, wenn er sie kritisiert."
Auf, seien wir schlechte Österreicher.

Das Hackl des Hl. Wolfgang - eine Enthüllung

in "Die Presse" vom 7. 10. 1997

Zimmer 31 im "Weißen Rössl am Wolfgangsee". 7 Uhr 30. Im Fenster gegen Süden: kein See, Nebel. Im Fenster gegen Westen: kein See, Nebel. 8 Uhr. Der Nebel hebt sich gerade genug, um zwei Schwäne zu zeigen. Hinter ihnen in seinem geliebten Ruderboot Alexander Lernet-Holenia.
Ich mache mir Sorgen, was ich denn enthüllen werde. Zu mittag stellt sich heraus: auf Josef Symon ist Verlaß. Den stets hochaufgerichteten Dichter (nur zum Händeküssen der Damen halbierte sich seine elegante Figur durch ironischen Hüftknick) bildete Meister Symon getreulich ab durch einige hochaufgerichtete, gleichfalls elegante und ironische Aluminiumstangen.
Wo das Herz des Dichters ist, placierte er in durchbrochener Schrift, damit das von Lernet so geliebte Licht des Sees hindurch fließen kann, dessen Gedicht "Gingen wir, wir kehrten wieder ..."
Der berühmte Rabbi von Barack (sprechen Sie bitte Barazk) sagte, sagte ich, alles was man nicht sagen kann, während man auf einem Fuß steht, und zwar auf dem linken, ist nicht die Wahrheit. Nun steht die Festgemeinde hier zwar nicht auf einem Fuß, und schon gar nicht auf dem linken, aber sie steht, also ist Kürze geboten, und also Wahrheit.
Sankt Wolfgang hält in seiner Hand ein Hackl, erinnerte ich, und das Hackl flog hin und her zwischen den Sanktwolfgangern und ihrem stets streitenden Dichter (hier verbrachte er den schönsten Teil seines Lebens; heuer wäre er hundert).
Das Lernet-Denkmal befindet sich im Exil, auf dem Grund der Nachbargemeinde St. Gilgen, beim "Ferienhort", dessen Anblick der Poet und Ästhet garnicht schätzte.
Fettnäpfchentreten ist gut für meine Gesundheit. Vielleicht wird der Dichter noch gänzlich heimkommen, in den schönen Ort, wo er seine schöne Villa hatte. Und mit ihm die anderen Wahlwolfganger und Großkünstler, Hilde Spiel, die böse auszog, als man ihr die Ulmen vor ihrem Fenster wegschlägerte; und Leo Perutz und natürlich Ralph Benatzky (Operette ist die Liebesheirat zwischen Kunst und Kitsch).
"Upgrading" heißt das auf neugroßdeutsch. Die Kultur kriegt einen Kostplatz beim Fremdenverkehr. Der Fremdenverkehr wird gerettet durch die Kultur. Macht nix. Man muß schon froh sein, daß das Richtige geschieht. Daß das Richtige auch noch aus den richtigen Gründen geschieht, das, meine Damen und Herren, ist der nackte Luxus. Folglich : es lebe der upgegradete Kulturtourismus.
Lernet kommt wieder mit dem Ruderboot. Das ist die angemessene Annäherungs-Geschwindigkeit. Er kommt im rechten Augenblick. Lernet ist der Grandseigneur jener echten österreichischen Moderne, die überspült wurde von der Importkultur. Die Gegenwelle kommt, also kommt Lernet.
Kunst darf Freude machen. Es ist erlaubt, daß einem die Pseudo-Moderne zum Hals heraushängt. Sprache darf zielen und treffen, statt brabbeln und quasseln.
Kunst darf die Grenzen zum Kitsch überschreiten und erfrischt zurückkehren zu sich selbst. Schönheit ist erlaubt.
Das hören die Leute gern. Ich wickle den Aluminium-Lernet aus seinem Leintuch, und es gibt ein gutes Mittagessen.
Es saust. Was fliegt denn da? Ah ja, das Hackl des Hl. Wolfgang. Haarscharf fliegt es jetzt, spüre ich, in die richtige Richtung. Wenn sich die Pläne der jungen Wilden im Wolfganger Gemeinderat konkretisieren (Lernet-Holenia-Bibliothek, Schreibwerkstatt für junge Literatur; Kunsthalle; "Kulturpark" naja), dann könnten Ort und See bereit sein:
Demnächst, wenn die Moderne sterben wird an ihrer Langeweile und Häßlichkeit, dann gäbe es hier ein dezentrales Zentrum, hübsch und klein, für die Moderne von morgen.