Wir verwenden Cookies für dein individuelles Surf-Erlebnis, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf unsere Website zu analysieren. Außerdem geben wir Informationen zu Ihrer Verwendung unserer Website an unsere Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter. Unsere Partner führen diese Informationen möglicherweise mit weiteren Daten zusammen, die Sie ihnen bereitgestellt haben oder die sie im Rahmen Ihrer Nutzung der Dienste gesammelt haben. (inkl. US-Anbietern)
Für Datenschutz verantwortlich
Alexander Lernet-Holenia

Daniela Strigl: Es gibt Taten, die so ungeheuer sind, dass keine Sühne hilft

Strigl, Daniela: „Es gibt Taten, die so ungeheuer sind, daß keine Sühne hilft“: über das Zeitgemäße an Lernets „Germanien“. In: Barrière, Hélène, Thomas Eicher, Manfred Müller (Hrsg.): Schuld-Komplexe. Das Werk Alexander Lernet-Holenias im Nachkriegskontext. Oberhausen: Athena 2004, S. 65-89.
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15
buch-15

Daniela Strigl: Eine Tagung, die weiter ging

Alexander Lernet-Holenia in Dortmund

Aus: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands. 20. Jg. Nr. 4/2004, S. 59
"Schiebt nicht die Schuld auf andre, - diese Schuld/ und alles andre Schuldsein!" Diese Verse stehen in Alexander Lernet-Holenias großer Elegie "Germanien", die 1946 in Deutschland wie Österreich für Aufsehen sorgte. Nicht zuletzt, weil der Autor des k.u.k. Romans "Die Standarte" (1934) sich darin deutlich zur Kollektivschuld der Deutschen bekannte: "wenn, was von den Größten einer tut,/ auch ihr getan habt, habt ihr auch getan,/ was der Geringsten einer tut im Volk."

So ist es nicht verwunderlich, daß das Gedicht "Germanien" bei der im vergangenen Oktober in Dortmund abgehaltenen Tagung "Alexander Lernet-Holenia und die österreichische Literatur der Nachkriegszeit" im Brennpunkt des Interesses stand. Dank dem erzieherischen Furor von Robert Menasse, der Lernet als vernagelten Reaktionär porträtiert hat, war dieser mit einem Satz in die österreichische Literaturgeschichte eingeschrieben, der in die konträre Richtung zu weisen scheint: "In der Tat brauchen wir nur dort fortzusetzen, wo uns die Träume eines Irren unterbrochen haben, in der Tat brauchen wir nicht voraus-, sondern nur zurückzublicken."

Die Gestalter des Programms, Thomas Eicher und Manfred Müller, bemühten sich, den Spannungsbogen zwischen antifaschistischer Eindeutigkeit und rückwärtsgewandter Sehnsucht nachzuzeichnen und Lernet-Holenia als eine zentrale Figur im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit in möglichst vielen Facetten zu beleuchten. Dabei ging es nicht mehr darum, sich - wie in vorangegangenen Veranstaltungen - der Bedeutung des lange ignorierten Autors zu versichern und in kollektiver Anstrengung Basiswissen zu sammeln. Die von der Auslandsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, der Université d'Artois (Arras) und der Internationalen Alexander Lernet-Holenia Gesellschaft bestrittene Tagung konnte über die geleistete Pionierarbeit hinaus und in die Tiefe gehen.

Die Analyse der Nachkriegsromane "Der Graf von Saint Germain" (Jean Jacques Pollet) und "Der Graf Luna" (Hélène Barrière) zeigte, wie Lernet die Methode der Phantastik auch auf die zeitgeschichtlichen Ereignisse rund um den Anschluß und die österreichische Verstrickung in die Verbrechen des NS-Regimes anwendet, was eine problematische Fatalisierung des Historischen mit sich bringt. Nur allzu gern nahm das Publikum des Jahres 1955 die Erlebnisse des Jessiersky in "Der Graf Luna" als Auswüchse einer überspannten Gemütslage auf und verweigerte das Nachdenken über einen, der durch bloßes Zuschauen und Nichtstun mitschuldig am Tod eines Menschen wird.

Jedenfalls gehörte Lernet, der das Dritte Reich relativ bequem als Leiter der NS-Heeresfilmstelle überwintert hatte, nicht zu den Verdrängern. Das vermittelte in Dortmund auch Gertraud Steiner Daviaus Überblick über das Nachkriegswerk des Filmautors Lernet: Gleich 1947 meldete er sich mit der Widerstandsgeschichte "Das andere Leben" (nach seiner Novelle "Der 20. Juli") zurück.

Manfred Müller machte den Autor durch eine genaue Lektüre des Buches "Die Inseln unter dem Winde" (1952) zu einem Vorläufer des kritischen Heimatromans, wenngleich mit umgekehrten, nämlich konservativen Vorzeichen. Konservativ, hier wiederum in ästhetischer Hinsicht, nahm Lernet-Holenia sich auch in seiner Auseinandersetzung mit Gottfried Benn aus: 1933 hatte Lernet dessen Bekenntnis zum deutschen Reich kritisiert, nun, nach dem Krieg, warf er ihm, wie Rüdiger Görner im Detail darlegte, gerade sein Desengagement für gesellschaftliche Belange vor.

Weil Lernets Biograph Roman Rocek, der auch an der Herausgabe eines Briefbandes arbeitet, nicht kommen konnte, blieb so manche Frage zur Lebensgeschichte und zum Korrespondenzbestand offen. Bernd Hamacher widmete sich, unter anderem anhand des Romans "Pilatus" (1967) Lernets weltanschaulicher Beziehung zum Judentum, etwa dessen merkwürdiger Parallelisierung mit dem Schicksal Österreichs. Seine Befunde über im Werk nachgewiesene Negativ-Stereotypen wurden teilweise kontroversiell aufgenommen - identifiziert sich der Erzähler doch gerade mit Helden slawischer Herkunft.

Das im Raum stehende Gerücht, man habe Lernet des Antisemitismus überführt, entpuppte sich als alter Hut. Mit zunehmendem Alter war der Dichter immer rabiater geworden, sein Aristokratie-Komplex (er war überzeugt, der illegitime Sproß eines Erzherzogs zu sein) wuchs sich zur Obsession aus. Lernet wütete gegen die jungen Schreiberlinge von Handke bis Bernhard ebenso wie gegen "die Sozialisten" und "die Habsburger" und wurde, wie Hilde Spiel berichtete, im privaten Kreis auch gegen "die Juden" ausfällig. Seine Biographie spricht freilich eine andere Sprache, die meisten seiner engsten Mitstreiter und Freunde (und Freundinnen) waren jüdischer Abstammung, nicht nur der in diesen Dingen eher großzügige Leo Perutz, sondern auch Friedrich Torberg, der in Sachen Antisemitismus keinen Spaß verstand. Lernet selbst verurteilte brieflich die Antisemiten, bewunderte Israel für seine militärische Härte und warf der Zeitung "Die Presse", namentlich deren Redakteurin Ilse Leitenberger, eine judenfeindliche Einstellung vor.

Der Vorwurf, die Vernichtung der Juden spiele in Lernets großem Resümee "Germanien" keine zentrale Rolle, der Dichter bediene sich darin vielmehr einer hier unangemessenen traditionellen Form der Totenklage um gefallene Krieger, fand bei Thomas Hübel Unterstützung. Die Shoah kommt freilich auch in anderen zeitgenössischen Abrechnungen mit dem Dritten Reich kaum vor, der hohe Ton der Hymne ist außerdem nach dem Krieg nach wie vor en vogue. Eine Apologie von "Germanien" (Strigl) kann sich vor allem auf ungeheure Provokation berufen, die der Satz "Wenn man die Schuld euch allen auflädt, tragt/ sie denn auch allesamt!" beim deutschen Publikum bewirkte.

Wo Lernet im Dritten Reich stand, ist, obwohl er sich gut aus der Affäre ziehen konnte, eindeutig: Er überlegte die Emigration und wagte es nicht. Sein Roman "Mars im Widder" (1941) wurde als subversiv erkannt und verboten - wie auch zwei Vorkriegsverfilmungen seiner Bücher ("weil darin abfällige Äußerungen über den Führer und die NSDAP enthalten waren"). In seinem Wohnort St. Wolfgang wurde er als Regimegegner vernadert, was dazu führte, daß die Amerikaner ihn dort 1945 flugs zum Entnazifizierungsbeauftragten machten. Die offene und kritische Auseinandersetzung mit dem Schwierigen des literarischen Nachkriegsbetriebs, um die es auch dem Neffen und Rechtsnachfolger des Dichters, Alexander Dreihann-Holenia, nach eigenem Bekunden zu tun ist, hat bei dieser Tagung entscheidende Impulse erfahren. Gerade, daß Lernet-Holenia sich in die Lager des Kalten Krieges nicht ohne weiteres einordnen läßt, macht ihn als Gegenstand der Forschung interessant: Er, der immer wieder aus der antikommunistischen Front ausbrach und im "Österreichischen Tagebuch" publizierte, war Torbergs rechte, oder besser: linke Hand im "FORVM" und begründete seinen Rücktritt als PEN-Präsident mit der Nobelpreisvergabe an den als Terroristenfreund verschrienen Heinrich Böll.

So wurde just am österreichischen Nationalfeiertag und just auf gleichsam exterritorialem Boden (im Ausland eben, das nicht immer Ausland war) ein Beitrag dazu geleistet, Alexander Lernet-Holenia in die österreichische Literatur heimzuholen - und in die Literaturwissenschaft.